Inklusion leben: Barrierefreiheit nützt allen

Hans-Peter Matt lernten wir auf einem Seminar im Schwarzwald kennen. Seit einem Unfall vor dreißig Jahren sitzt er im Rollstuhl – und weiß, wovon er spricht, wenn es um Barrierefreiheit geht. Als Visionär und Querdenker arbeitet er mit seinem Beratungsbüro an Gestaltungslösungen, die nicht nur inklusiv, sondern auch ökonomisch und ästhetisch attraktiv sind. Matts Motto: „Barrierefreiheit ist für alle attraktiv!“

Auf dem Bild ist Hans-Peter Matt unterwegs im NP Schwarzwald mit 4 weiteren Menschen. Hans-Peter und noch eine Person sind in Rollstühlen unterwegs, alle anderen zu Fuß.
Hans-Peter Matt (links im Bild) ist Gründer vom Beratungsbüro mahp-barrierefrei und einer der renommiertesten Expert*innen für Barrierefreiheit in Deutschland.

Hans-Peter, das Thema Barrierefreiheit ist an sich nicht neu. Die Umsetzung stockt aber an vielen Stellen. Wo könnte das Problem liegen?

Aus meiner Sicht liegt das Hauptproblem darin, dass oft versucht wird, Sonderlösungen für behinderte Menschen zu finden. Das ist im Grunde falsch. Die besten Lösungen sind die, von denen alle Nutzer*innen profitieren. Nur wenn Menschen verstehen, dass Barrierefreiheit Vorteile für alle hat, wird auch der Mehrwert der Veränderungen sichtbar.

Kann man eigentlich jede Region barrierefrei machen?

Ja und Nein. Ich bin seit über zehn Jahren im Schwarzwald beratend aktiv – zunächst im Naturpark und ab 2014 dann im damals ausgewiesenen Nationalpark. Natürlich wird es in einer Naturlandschaft immer Hindernisse für mobilitätseingeschränkte Menschen geben. Aber heutzutage gibt es vielfältige Möglichkeiten, Hindernisse abzubauen. Wichtig ist eben, die Bedingungen für alle Gäste im Nationalpark zu verbessern und keine stigmatisierenden Sonderlösungen zu schaffen.

Dank Deiner Expertise sind bereits einige Naturpfade in Deutschland zugänglicher geworden. Was ist wichtig zu bedenken, wenn man barrierefreie Naturangebote plant?

Die erste Frage muss immer lauten: barrierefrei für wen. Ich kann und möchte
die Natur nicht verändern! Barrierefreiheit muss sich in die Natur einfügen, da wo es möglich ist. Die Nutzung bleibt dabei immer individuell und sollte dezentral an unterschiedlichen Orten, Plätzen oder Gebieten herausgearbeitet und stets neu bewertet werden. Daher muss ich die richtigen Hilfsmittel finden oder zur Hand haben, um in der Natur zurechtzukommen. Das heißt, man stellt sich Fragen: Welche Hilfsmittel stehen mir zur Verfügung? Mit wem bin ich unterwegs? Wo liegen die Herausforderungen oder die Barrieren in diesem konkreten Gebiet? Wichtig ist: wo man frühzeitig Betroffene selbst sowie Expert*innen in die Auswahl geeigneter Werkzeuge und Maßnahmen einbindet, entstehen meist die besten Lösungen.

Im Nationalpark Schwarzwald scheint die Zusammenarbeit des Nationalparks mit Vertreter*innen der Menschen mit Behinderungen sehr gut zu funktionieren. War das ein langer Prozess?

Du beschreibst es ja selbst, den Nationalpark Schwarzwald gibt es nun seit 2014. Seit Beginn wurde das Thema Barrierefreiheit und Inklusion als begleitender Querschnittprozess betrachtet. Es ist kein Projekt, das sich mit einem Anfang oder einem Ende definiert. Der gesamte Prozess ist aus kleinen oder größeren - und fortlaufenden Einzelprojekten aufgebaut und wird stets Landschaftsbezogen und individuell gestaltet.

Mahp-barrierefrei hat ein Bewertungssystem entwickelt, das bei der Analyse und Umsetzung der Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit hilft.

Stichwort hier ist Hilfe zur Selbsthilfe und Selbsteinschätzung. Vor über 10 Jahren wurde ein Bewertungssystem von mir entwickelt und erstmals bei den „NaTouren für Alle“ im Schwarzwald realisiert. Es hat sich hier bewährt und etabliert. Später wurden weitere Angebote so bewertet und stets weiterentwickelt.

Neben Einbeziehung von Betroffenen und Expert*innen, was ist noch besonders wichtig bei der Umstellung auf mehr Barrierefreiheit?

Damit das Konzept des barrierefreien Naturerlebens langfristig Wirkung entfalten kann, sind Netzwerke unverzichtbar. Die Servicekette rund um Naturerlebnisangebote muss stärker beachtet werden: Gibt es barrierefreie Übernachtungsangebote? Wo kann ich Hilfsmittel ausleihen? Gibt es barrierefreie WC-Anlagen (auch Outdoor) oder Wie komme ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer Naturerlebnisdestination? Ideal wäre natürlich, alle Angebote unter gleichen Bedingungen zu erheben und unter einer einheitlichen Kennzeichnung zu bewerben. Also, es gibt noch einiges zu tun und auf den Weg zu bringen.

Informationen in Leichter Sprache, eine barrierefreie Webseite, Nutzung von Piktogrammen für verschiedene Nutzergruppen, sogar Führungen in Gebärdensprache sind im Schwarzwald bereits Realität. Was sind die nächsten Schritte, die man im Nationalpark gehen will?

Für Menschen mit Mobilitätsbehinderung ist hier schon einiges geschehen, das anderen Parks als Beispiel dienen kann. Aber auch hier gibt es noch viel zu tun – ich denke zum Beispiel an inklusive Angebote für Menschen mit Sinneseinschränkung oder kognitiven Defiziten. Hier gibt es immer noch einen großen Nachholbedarf. Daran müssen wir unbedingt weiterarbeiten. Hier gilt es ebenfalls inklusive Angebote auf den Weg zu bringen.

Lieber Hans-Peter, vielen Dank für das spannende Interview und viel Erfolg auf dem weiteren Weg!

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